Kallirroi Ioannidou- ΚΟΣΜΟΣ
In seiner ursprünglichen Bedeutung verweist das aus dem Griechischen stammende Wort Kosmos (κόσμος) auf eine allumfassende Ordnung oder Struktur. Alexander von Humboldt verfasste 1845 sein fünfbändiges Werk „Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“ mit dem Zweck, „die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhange, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufassen.“ Wenn also heutzutage die Bezeichnung „Kosmos“ als Synonym für das Universum oder Weltall verwendet wird, verdeutlicht das nicht einmal annähernd die Komplexität der ursprünglichen Wortbedeutung: nicht nur das unendlich Große, Galaktische, sondern auch das Winzige oder das Private.
Das Phänomen der mannigfachen Ebenen lässt sich hervorragend auf die Arbeiten von Kallirroi Ioannidou übertragen. Die Künstlerin arbeitet sowohl mit Zeichnung als auch mit Malerei und Skulptur. Von übergreifender Relevanz ist dabei der Prozess: Es ist charakteristisch für ihre Arbeiten, dass sie sich über einen langen Zeitraum hinweg entwickeln. Teilweise bearbeitet Ioannidou sie monatelang, trägt immer wieder neue Schichten auf. Dadurch wird im fertigen Werk eine ganze Zeitperiode sichtbar, die verschiedene Thematiken streift. In der Entstehung ihrer Skulpturen spielt zudem das Entdecken der Form eine maßgebliche Rolle – nicht nur für die Betrachter:innen, sondern auch für die Künstlerin selbst. Die Formen ihrer Skulpturen versteht sie als Grundrisse ihrer Malerei. Durch das assoziative Vokabular ergibt sich eine gestalterische Ambivalenz, die die Deutung ihrer Arbeiten teilweise erschwert. Ioannidou gibt jedoch keine Interpretationsebene vor und lässt den Interpretationen freien Raum.
Verwandlung und Veränderung sind auch in Ioannidous Malerei essentielle Elemente. Die vielfältigen Materialen, die die Künstlerin auf die Leinwand aufträgt, unterstreichen die Variationsbreite ihrer Motivik. Ein gemeinsamer Nenner ist das Leben: Die Künstlerin wählt organische, körperliche Formen, die mal an abstrakte Landschaften, dann wieder an körperliche Prozesse erinnern und gleichzeitig einen Querschnitt durch Ioannidous Psyche symbolisieren.
Nahezu narrativ, wie eine Form der Sprache, nutzt Ioannidou die Zeichnung um ihre eigenen Gedanken festzuhalten und Interessensschwerpunkte zu setzen. Wie auch die Malerei und die Plastik entsteht sie in abgegrenzten Arbeitsphasen. Die Künstlerin muss sich „satt zeichnen“, „satt malen“ und „satt modellieren“, um den nächsten Abschnitt zu beginnen. Thematisch und formal wirken ihre Zeichnungen kindlich, schnell und fantasievoll und bilden somit einen Kontrast zur langsam entstehenden Malerei. Trotz ihrer Verspieltheit besitzen Ioannidous Werke aber auch eine große Ernsthaftigkeit und untermalen verschiedene Bereiche des Lebens.
Die Arbeiten sind mal tiefsinnig, mal von der Einfachheit des Alltags inspiriert. Sie beziehen sich auf den Körper, den Tod, das Leben, dann aber auch wieder auf profane Dinge. Ioannidou sucht und findet Inspiration in allen Dingen, die sie bewegen – ohne dabei ihre Relevanz zu bewerten. Ihre Werke lassen sich nicht einfach in die Schublade „Körper“ stecken, sondern zeigen ambivalente Strukturen und beleuchten die unterschiedlichen Facetten ihrer und unserer Fantasie. Die Betrachter:innen tauchen in scheinbar fremde Sphären ein, assoziieren mal Inneres und mal Äußeres. Das vielfältige und doch zusammenhängende Œuvre Ioannidous – ohne Skulptur keine Zeichnung, ohne Zeichnung keine Malerei und vice versa – verdeutlicht die holistische Arbeitsweise der Künstlerin. So zeigt Ioannidou das Große im Kleinen, das Kleine im Großen und die Zusammenhänge beider Systeme – Kosmos.
Julia Meyer- Brehm, Kunsthistorikerin und Kulturredakteurin