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Worldmaking by Lorena Juan

DE

Kallirroi Ioannidou beschäftigt sich mit ge- sellschaftlichen Ereignissen und hinterfragt die Hürden, Zuschreibungen, Erwartungen und Vorurteile, mit denen die meisten von uns in unserem täglichen Leben konfrontiert sind. Sie ist daran interessiert, durch intuitive und unbewusste Assoziationsprozesse Fragen nach dem Wesen des heutigen Menschen zu stellen. Ihre Zuneigung zu Lebensrhythmen und der Transformation von Materie wird in ihrer Arbeit spürbar, indem sie Skulptur, Zeichnung und Malerei in einer nicht-hierarchischen Weise umfasst. Ihre lebendigen visuellen Erzählungen weiten sich von einem Medium zum anderen aus, ohne lineares Narrativ, ohne abgegrenzten Schwerpunkt und ohne den Versuch, klare Schlussfolgerungen zu ziehen.

Um den Status quo aufrechtzuerhalten und Machtpositionen zu bestätigen, werden Sarkasmusund Ironie allzu oft missbraucht. Die Zeichnungen von Kallirroi Ioannidou hingegen sind von einer anderen Art von Humor erfüllt – einem Humor voller Empathie und Selbsterkenntnis. Mit der Kraft einer politischen Vignette fördern ihre scharfen Illustrationen die Verletzlichkeit in einer Welt, in der es nur wenig Platz für Zärtlichkeit gibt. Indem Ioannidou sowohl psychische Gesundheit als auch körperlichen Schmerz in so feinsinnigen Gesten darstellt, wirkt ihr Verständnis der Lebens- (und Todes-)zyklen weise und ungeschönt.

Anstatt sich an eine Analyse der von Menschenhand geschaffenen Technologien und Infrastrukturen zu klammern, die viele unserer Erfahrungen ermöglichen, macht Kallirroi Ioannidou den Körper zum Ort politischer Positionierung und gesellschaft- licher Kritik. In ihrem Werk ist der Körper nie uninteressant, denn er nässt, wächst, dehnt sich, läuft aus, schmerzt, vibriert, faltet sich und gebiert. Ihre Gemälde sind Kanäle oder Membranen, die uns durch weiche, klebrige Welten führen. Während das Fließende die totale Auflösung und die unendlichen Möglichkeiten betont, lenkt diese Viskosität die Aufmerksamkeit auf Orte des Widerstands und der Schwierigkeiten. Ihr Blick ist voller Faszination und Neugier auf die Fähigkeit des Körpers, Unsicherheit, Unbehagen, Wissens- lücken und Kontrollverlust zuzulassen.

Wie allgemein bekannt ist, bestehen unsere Körper in der Tat größtenteils aus Wasser. Wie Neimanis in ihrem 2012 erschienenen Essay „Hydrofeminismus: Or, on becoming a body of water“ schreibt, sind wir Wasser- wesen, die durch die Spuren desselben Urmeeres, das uns immer noch durch strömt, miteinander verbunden sind. Der Versuch, diese fließende Verbundenheit zu begreifen, spielt in der bildnerischen Arbeit von Kallirroi Ioannidou eine sehr wichtige Rolle. Ihre Gemälde entstehen in einem Schichtungsprozess, der bis zu mehreren Monaten dauern kann, und schaffen dadurch mehrdeutige und fragmentierte Ver- zerrungen in der Zeit, die ein gemeinsames planetarisches Bewusstsein ansprechen. In ihren raffinierten Erkundungen von Farbe und Textur öffnen sich verflochtene Galaxien, die zu Überlegungen von Harmonie und Gleich- gewicht einladen.Man könnte die Gegenüberstellung von Titeln und Bildern im Werk von Kallirroi Ioannidou als eine Übung des „Worldmaking“ be- schreiben, ein Begriff, der erstmals von Nelson Goodman in „Ways of Worldmaking“ (1978) philosophisch formuliert wurde. Sein Ansatz betonte die Idee, dass Welten aus unseren kulturellen Modellen und der/den Welt(en) unserer Erfahrung sowie aus bereits existierenden imaginierten Welten durch verschiedene Arten von Transformationen gebildet werden. Ästhetische Erfahrungen, welche Welten schaffen, haben die Fähig- keit, die Verknöcherung des Gedächtnisses herauszufordern und so ein nährendes, fruchtbares Gespräch mit und über die Zu- kunft zu führen. Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass Ioannidous Bildwelten von zeitgenössischen Mustern und Kindheits- bildern bewohnt sind, eine bemerkenswerte Arena, in der neue Bedeutungen geschaffen und Machtstrukturen in Frage gestellt und umgekehrt werden. Visuelle Kunst kann in der Tat einzigartige Perspektiven auf die Ent- stehung von Bedeutung bieten, und Kallirroi Ioannidou gelingt es, ein neues Verständnis von Zeit, Körper und Affekt zu erforschen.

Lorena Juan

EN

Through intuitive and subconscious associative processes, Kallirroi Ioannidou is interested in asking questions regarding the essence of contemporary human condition. The artist is concerned with societal mechanisms and interrogates the hurdles, attributions, expectations, and prejudices that most of us must deal with in our daily lives. Her preoccupation in life rhythms and the trans- formation of matter is tangible in her work- ing across sculpture, drawing and painting in a non-hierarchical way. Her vivid visual narratives expand from one medium to the other with no linear narrative, no delimited focal point, and no attempt to draw clean conclusions.

Sarcasm and irony have sadly often been misused to perpetuate the status quo and validate positions of power. Kallirroi Ioannidou’s drawings, on the other hand, are full of another kind of humor, one that is full of empathy and self-awareness. With the strength of a political vignette, her sharp illustrations promote vulnerability in a world where there’s very little room for softness. By depicting both mental health and physical pain in such relatable terms, Ioannidou’s understanding of life (and death) cycles comes across wise and unsweetened.

Instead of clinging to an analysis of the man- made gadgets and infrastructures that enable many of our contemporary experiences, she reclaims the body as the site for political positioning and societal critique. Oozing, growing, stretching, leaking, hurting, vibrating, folding, and giving birth, the body is never uninteresting in Kallirroi Ioannidou’s work. Her paintings are channels or membranes that guide us through soft, sticky worlds. While fluidity emphasizes total dissolution and infinite possibilities, this viscosity draws attention to sites of resistance and difficulty. Her gaze is full of fascination and curiosity for the body’s capacity to embrace uncertainty, discomfort, knowledge gaps, and loss of control.
As it is widely known, our bodies are indeed mostly of watery composition. As Neimanis puts it in her 2012 essay “Hydrofeminism: Or, on becoming a body of water”, we are aquatic entities, connected to each other by the traces of the very same primeval sea still cycling through us. Trying to grasp that flowing interconnectedness plays a very important role in the pictorial work of Kallirroi Ioannidou. Her paintings are born through a layering process that can take up to months, creating ambiguous and fragmented distortions in time that address a shared planetary consciousness. In her refined explorations of color and texture, contorted galaxies open to considerations of harmony and balance.

One could describe the juxtaposition of titles and images in the work of Kallirroi Ioannidou as an exercise of “worldmaking”, a term that was first formulated in philosophical terms by Nelson Goodman in “Ways of Worldmaking” (1978). His approach emphasized the idea that worlds are built from our cultural models and the world(s) of our experience, as well as from already existing imagined worlds through various types of transformations. Worldmaking aesthetic experiences have the capacity to challenge memory’s ossification and thus enter a nurturing, fruitful conversation with and about the future. When looking closer, one must discover that Ioannidou’s visual worlds are populated by childhood imagery and contemporary patterns, a remarkable arena in which new meanings are made and power structures are questioned and reversed. Visual art can indeed offer unique perspectives on the making of meaning, and Kallirroi Ioannidou succeeds in her exploration of new understandings of time, body and affect.

Lorena Juan

Worldmaking, 2022 Oilstick and coloured pencil on paper 22cm x29cm
Worldmaking, 2022 Oilstick and coloured pencil on paper 22cm x29cm